STANDPUNKTE 31/2016
Das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine hatte radikale Auswirkungen auf die ukrainische Gesellschaft. Die Aussetzung der EU-Assoziierung löste die Maidan-Proteste aus und führte anschließend im Winter 2013/14 zum Regimewechsel. Die multivektorale Außenwirtschaftspolitik wurde durch die Ausrichtung auf einen einzigen «europäischen Vektor» ersetzt. Welche Folgen hatten diese Veränderungen für die ukrainische Wirtschaft und die soziale Lage der UkrainerInnen? Wie hat sich das auf die Entwicklung einzelner Produktionszweige ausgewirkt? Konnten die ukrainischen Hersteller ihre Position auf dem europäischen Markt verbessern, und wenn ja, in welcher Form?
Allgemeinwirtschaftliche Tendenzen
Die Integration der Ukraine in den Wirtschaftsraum der Europäischen Union konnte durch die unterschiedliche Größenordnung beider Regionen nicht gleichberechtigt erfolgen. Die Bevölkerungszahl der EU übersteigt die ukrainische um mehr als das Zehnfache, ihr Bruttoinlandsprodukt (BIP) war zu Beginn der europäischen Integration mehr als 45 Mal hö- her als das der Ukraine. Dementsprechend erfolgte die Einführung der Freihandelszone Ukraine/EU nach den Vorstellungen und Regeln des größeren europäischen Partners. Der Ukraine ist es seit ihrer Unabhängigkeit nicht gelungen, eine Wohlstandsgesellschaft nach dem Muster der entwickelten europäischen Staaten aufzubauen. Ende 2013 erreichte das ukrainische BIP nur noch 70 Prozent des Niveaus von 1990. Vor dem Zusammenbruch der UdSSR hatten ukrainische Unternehmen einen Anteil von über 1,3 Prozent an der Weltproduktion. Seit der Unabhängigkeit sank ihr Anteil um mehr als zwei Drittel und betrug 2013 nur noch 0,4 Prozent. Dennoch zählte die Ukraine zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zu den 40 größten Volkswirtschaften der Welt, vergleichbar mit Singapur, Chile oder Hongkong. Dies war ein weiterer Anreiz für die Europäische Union, den Zugang zum ukrainischen Markt weiter zu öffnen. Die Veränderung des außenwirtschaftlichen Vektors beeinflusste den Umfang des Waren- und Dienstleistungshandels der Ukraine mit verschiedenen Regionen der Welt. Wie aus Abbildung 1 ersichtlich ist, waren die Länder der ehemaligen Sowjetunion – die heutigen GUS-Staaten – die wichtigsten Wirtschaftspartner der Ukraine. Dieser Trend verstärkte sich nach 2008 für einige Zeit. Bis 2014 nahm die europäische Region einen stabilen zweiten Platz im ukrainischen Außenhandel ein. Die Implementierung des Assoziierungsabkommens mit der EU führte zur Abschaffung des zollfreien Handels mit Russland, was einen starken Rückgang in der Zusammenarbeit ukrainischer Unternehmen mit diesem traditionellen Markt zur Folge hatte. Für die ukrainische Bevölkerung bedeutete das den Verlust von Arbeitsplätzen in den veralteten, aber immer noch bestehenden Betrieben. Ob diese Betriebe sich in zwei Jahren nach Europa umorientieren konnten, wird später noch behandelt. Zu beachten ist, dass ein deutlicher Rückgang im Handel mit den GUS-Ländern bereits in der zweiten Jahreshälfte 2012 begann. Weitgehend lässt sich das mit den von der russischen Regierung geförderten Importsubstitutionen und mit den von ihr eingeführten Maßnahmen zum Schutz des russischen Marktes gegen ukrainische Hersteller (zwei Drittel des Handelsumsatzes mit den GUS-Staaten entfielen auf Russland) erklären. Dabei ist allerdings die Nachfrage nach ukrainischen Produkten auch in allen anderen Regionen.
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